Das Kopftuch – Pädagogisch diskutiert

 

Es ist die Präsentation der Masterarbeit von Nida Ulfatah Gondal Sahiba, die sie am 30. Mai 2015 beim Studentinnen-Meeting mit HudhurABA vorstellte. Auf Anweisung von HudhurABA wurde diese übersetzt, um sie anschließend in Magazinen der Jamaat zu veröffentlichen[1].

Im Folgenden wird das Thema meiner Masterarbeit vorgestellt: eine Diskussion über das Kopftuch aus pädagogischer Perspektive.

Das Tragen des Kopftuchs beim Ausüben bestimmter Berufe ist muslimischen Frauen in Deutschland für mehr als 10 Jahre verboten worden. Dabei basierte das Kopftuchverbot hauptsächlich auf Äußerungen von Politikerinnen und Feministinnen, während Musliminnen selbst ausnahmslos ignoriert und nicht zu Wort gelassen wurden.

Besonders über die Ausübung des Lehrerberufs wurden Bedenken bezüglich sogenannter westlicher Werte wie Demokratie, Toleranz, Geschlechtergleichstellung und religiöse Neutralität auf verschiedenen Plattformen geäußert.

Obwohl das Kopftuchverbot Anfang des Jahres aufgehoben wurde, bleiben die Sorgen und Vorbehalte bestehen. Die Frage, die sich aus dieser Debatte ergibt und Gegenstand der Forschung war, ist, wo konkrete Belege zu finden sind, die diese Vorbehalte pädagogisch gesehen beweisen. Sehr schnell kommt man zu dem Schluss, dass es zuvor keine didaktische Diskussion darüber gegeben hat, obwohl die Vorbehalte gegenüber kopftuchtragenden Lehrerinnen hauptsächlich pädagogisch begründet werden.

Der deutsche Journalist und Autor Patrick Bahners stellt weiterhin die Frage, ob der Vorbehalt einer „abstrakten Gefahr” hinreichend ist, um kopftuchtragenden Frauen ihren Beruf zu verwehren, wenngleich keine Beweise für eine konkrete, von ihnen ausgehende Gefahr vorliegen.[2]

Um nun der Ausgangsfrage nach der Eröffnung einer pädagogischen Debatte des Kopftuchs gerecht zu werden und die Reproduktion der im bestehenden Diskurs vorhandenen „abstrakten Gefahr“ zu vermeiden, gilt es, grundlegende Dinge in Betracht zu ziehen. So äußert sich zum Beispiel Foucault hierzu:

„Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere bedrohliche Materialität zu umgehen.“[3]

Diese regulierenden Prozeduren schließen unter anderem die Bestimmung der Machthaber darüber ein, wer an dem Diskurs teilnehmen und wie viel Glaubwürdigkeit den einzelnen Positionen geschenkt wird, um ebendiesen zu kontrollieren.

Die Definitionen der Begriffe Toleranz, Geschlechtergleichstellung und Neutralität sind demnach nicht neutral, sondern gemäß den Interessen der Hegemonie, den Diskurs zu kontrollieren, angepasst. Sobald das gewünschte Ergebnis erzielt ist, wird es ständig reproduziert, um es glaubhafter erscheinen zu lassen.

Die Erkenntnis der oben erwähnten Fakten enthüllt weiterhin, dass die Kopftuchdebatte von einer Vormacht, die behauptet, die absolute und universelle Definition der Begriffe Toleranz, Geschlechtergleichstellung und Neutralität gefunden zu haben, stigmatisiert wird. Des Weiteren werden muslimische Frauen, die hervorheben, dass sie ihr Kopftuch als ihre Interpretation von Freiheit sehen, mit dem Einwand von der Aussprache ausgeschlossen, dass sie unterdrückt aufgewachsen seien und daher die wahre Bedeutung von Freiheit nicht kennen würden.

Da sie aber nicht am Diskurs teilnehmen dürfen, wird die Definition der zur Diskussion stehenden Begriffe aus ihrer Sicht ebenfalls von der Führung vorgegeben. Hierbei dient das Kopftuch als eine Projektionsfläche für jegliche Vorbehalte und Klischees. Die Frage danach, ob diese Vorbehalte gerechtfertigt sind, wird niemals zur Diskussion gestellt.

Während Muslime, die der Meinung der Hegemonie entgegentreten, mit Ignoranz bestraft werden, werden Muslime, die dieser zustimmen und den Islam kritisieren als Beispiele der gelungen Umerziehung durch die Hegemonie besonders hervorgehoben. Führende Beispiele dafür sind Soziologin Necla Kelek, Autorin Seyran Ates und Politikerin Lale Akgün. Stimmen aus eigenen Reihen, die sich auf die Seite der protestierenden Muslime stellen, werden als naiv und als unwissend bezüglich der Essenz der Debatte abgetan. Diese Stimmen sind beispielsweise Soziologen, die in ihren Studien aufzeigen, dass muslimische Frauen mit Kopftuch gleichsam gebildet und emanzipiert sind.

Um auf die Frage, wie eine angemessene pädagogische Debatte herzustellen ist, zurückzukommen, kann festgestellt werden, dass die bestehende Diskursstruktur aufgebrochen, die zentralen Begriffe der Debatte neu definiert und alle Stimmen gleichwertig behandelt werden müssen, um zu einem objektiven Ergebnis zu gelangen.

Im Verlauf der These legitimieren es diese Befunde, die islamische Sicht zum Kopftuch und zur Geschlechtergleichstellung differenziert hervorzuheben, wie es der Heilige Koran, die Ahadith, muslimische Gelehrte, insbesondere Hadhrat Massih-e-MaudAS, und die Kalifen konstatieren. Außerdem können eine Bandbreite von deutschen und internationalen Stimmen und Forscher, die das Verbot kritisieren, aufgeführt werden. Hierzu gehört unter anderem Heiner Bielefeldt, der gegenwärtig das Amt des Sonderberichterstatters für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats besetzt.

Das Hauptelement der Arbeit waren Interviews muslimischer Frauen darüber, was sie über ihr Kopftuch denken, da die sogenannte „abstrakte Gefahr“ messbar gemacht werden musste. Daher wurden die Kategorien „Positionierung der eigenen Religiosität“, „Gründe für das Tragen eines Kopftuchs“, „Haltung zur Geschlechtergleichstellung“, „Verständnis von Toleranz“, „Politische Einstellung“ und „Verständnis einer professionellen Pädagogin“ ausgewählt. Die Interviews stammen hauptsächlich aus zwei Studien, in denen kopftuchtragende Lehramtsstudentinnen zu ihrem Selbstbild befragt worden sind. Außerdem wurde ein Interview mit Frau Fereshta Ludin durchgeführt, die die erste kopftuchtragende Lehrerin war, der 1999 der Zugang zum Lehrerberuf verweigert wurde, aber das Kopftuchverbot erst im Jahre 2004 beschlossen wurde. Des Weiteren wurde das neu erschienene Buch von Frau Khola Maryam Hübsch mit dem Titel Unter dem Schleier die Freiheit. Was der Islam zu einem wirklich emanzipierten Frauenbild beitragen kann (2014) als hilfreiche Literatur zu diesem Thema eingebracht.

Zusammenfassend zeigte diese Masterarbeit, dass

  • das Kopftuch für die muslimischen Frauen mit religiöser Hingabe[4] verbunden ist und daher nicht darauf verzichtet werden kann.
  • es im Islam kein Konzept gibt, die Frau ins Heimische zu verbannen, selbst wenn gewisse Aufgaben zwischen Mann und Frau verteilt sind.
  • muslimische Frauen und zukünftige Lehrerinnen ihr Kopftuch als Akt der Emanzipation verstehen und sich nicht mit den auf sie projizierten Vorbehalten identifizieren.
  • ihr Verständnis von Geschlechtergleichstellung, Neutralität und ihrer Aufgabe als Lehrerin nicht den demokratischen Werten oder dem pädagogischen Auftrag der Schule widerspricht.
  • kein Fall bekannt ist, in dem attestiert werden kann, dass eine Lehrerin aufgrund ihres Kopftuchs den Schulfrieden gestört hat.

Im Januar 2015 wurde, Alhamdulillah, das Kopftuchverbot aufgehoben. Das Bundesverfassungsgericht beschloss, dass ein pauschales Kopftuchverbot auf Basis einer „abstrakten Gefahr“ nicht vereinbar mit der im Grundgesetz verankerten Religionsfreiheit ist. Ein individuelles Verbot ist nur möglich, wenn eine tatsächliche Gefahr, ausgehend von einer kopftuchtragenden Lehrerin, nachzuweisen ist.

Hierbei ist das Gericht nicht genauer darauf eingegangen, ob allein das Argument genügt, dass der Schulfrieden aufgrund des Tragens eines Kopftuchs der Lehrerin gestört wurde, oder ob nachgewiesen werden muss, dass diese Lehrerin aktiv an der Störung beteiligt beziehungsweise dafür schuldig war. Viele Schulleiterinnen haben ihre Bedenken gegenüber dem Beschluss des BVerfG geäußert. Auch in der Gesellschaft wurde gegen diesen Beschluss Unmut deutlich, wobei jegliche Vorurteile gegen Muslime erneut zum Vorschein kamen. Aber im Gegensatz dazu haben Politiker und signifikante Persönlichkeiten der Gesellschaft ihr Wohlwollen gegenüber der Aufhebung des Verbots geäußert, da sie darin einen weiteren Schritt in Richtung Demokratie und Gleichheit sehen.

Möge Allah ta’ala weiterhin die Herzen der Menschen gegenüber dem Islam und seinen Lehren öffnen und es uns ermöglichen, unsere Aufgabe zu verstehen, Tabligh in einer weisen Art und Weise zu verrichten, wie es der Heilige Koran es lehrt und unser geliebter KalifABA von uns erwartet. Amin.

Quellen:

[1] Aus dem Englischen übersetzt von Sadia Ahmed (Jamaat Iserlohn, Nordrhein Ost) und Amtul-Rafiq Athwal, Jamaat Berlin, Sachsen-Brandenburg

[2] Bahners 2011

[3]1991, S. 10f

[4] Während des Studentinnen-Meetings merkte HudhurABA zu diesem Wort an, dass es in diesem Kontext nicht angemessen ist, da das Kopftuch nicht allein für Hingabe steht. Es beinhaltet vielmehr das Verständnis für dieses Gebot des Korans. HudhurABA merkte auch an, dass das Gebot, die Blicke niederzuschlagen, zunächst an die Männer gerichtet worden ist. Danach ist den Frauen dasselbe geraten und gesagt worden; ihre Reize nicht zur Schau zu stellen und sich zu bedecken, sodass sie als muslimische Frauen erkennbar und sicher sind. Diesem Gebot zustimmend und es in ihrem Leben einbindend wird das Kopftuch für muslimische Frauen zum Teil ihrer Identität, die sie in der Öffentlichkeit aufrechterhalten möchten.