Scharia – Der Weg zum Ziel

Kommentar von Yusra Iftikhar

Scharia. Ein Wort, das mittlerweile bei vielen Menschen in dieser hiesigen Gesellschaft Unbehagen auslöst.

Ein emotional aufgeladenes Wort mit vielen negativen Assoziationen und vielfältigen Exegesen. Doch auch wenn ich mich als praktizierende Muslima jahrelang vor dieser Thematik gescheut habe, setze ich mich an dem Tag, als ein Twitter Nutzer es ohne Kontext in einer emotionsgeladenen Diskussion aufbringt, vor dem PC und tippe das Wort “Scharia” in die Google-Suchmaschine ein.

Wie nichts anderes zu erwarten, die altbekannten Bilder. Der Anblick verletzt mich. Denn es entspricht überhaupt nicht der Scharia, der ich gehorche. Die Scharia, die aus mir eine loyale, fromme Deutsche macht. Deshalb hier ein Versuch, die wahre Bedeutung der Scharia aufzuzeigen.

Um die Scharia in ihrer vollen Weisheit zu erfassen, müssen wir uns des Ursprungs im Klaren sein. Was ist die Scharia? Woher kommt sie und ist sie überhaupt aktuell?

Der Grundgedanke der Scharia ist der eines religiösen Kodex, dem sich jeder praktizierende Muslim und jede praktizierende Muslima, mit persönlichem Konsens verpflichtet. Es ist ein Lebensmodell, das vor allem auf Ethik und Moral im alltäglichen Leben fußt. Das Wort „Scharia“ bedeutet im Arabischen „der Weg“: „Schara ist der Weg einer deutlichen Straße.“ (*1) (Al-Mufra- dat, Imam Raghib). In der islamischen Terminologie wird unter dem Wort Scharia die gesamte islamische Lehre verstanden. Denn der Islam beansprucht, die Menschen zum Ziel ihres Daseins zu führen.

Anders als die Erwartungen vieler Laien auf dem Gebiet, ist die Scharia kein geschriebenes Gesetzbuch, wie der Deutsche Schönfelder, der bei jedem fleißigen Jurastudenten spätestens nach dem dritten Semester im Bücherregal steht. Viel eher ist es eine Zusammensetzung aus den Lehren des Heiligen Qur`ans, den Überlieferungen des Heiligen Propheten (Friede und Segen Allahs seien auf ihm), sowie der Sunnah, also der Art und Weise, wie der Heilige Prophet (Friede und Segen Allahs seien auf ihm) die Lehren Gottes als Vorbild vorgelebt hat. Aus diesen drei Quellen, also dem Qur`an, den Überlieferungen und der Sunnah, leitet sich die Scharia ab. Als Inspiration für die Gesetzgebung kann die Scharia jedoch durchaus dienen.

Im Wesentlichen verkörpert die Scharia zwei Aspekte. Zum einen das Erfüllen der Rechte Gottes und zum anderen das Erfüllen der Rechte der Mitmenschen.

Am Wichtigsten jedoch ist die Tatsache, dass die Scharia den Grundgedanken der Gleichheit unter Menschen aufzeigt. So werden alle Arten der Diskriminierung auf das Schärfste verurteilt. Gleichzeitig mangelt es nicht an der Akzentuierung der Autonomie des Individuums. 33 Verse des Heiligen Qur`ans untermauern die Bedeutung des Grundmenschenrechts der freien geistigen Entwicklung. “Es soll kein Zwang sein im Glauben (…)”, heißt es in dem 257. Vers der Sure Al-Baqarah des Heiligen Qur`ans, eines der vielen Beispiele. Der letzte Vers der Sure Al-Kaferun, nämlich “Euch Euer Glaube, und mir mein Glaube” (109:7), verdeutlicht die Meinungs- und Religionsfreiheit, über die jeder Mensch, aufgrund der ihm zugrunde gelegten Würde, welche in der Sure Bani Israil manifestiert wird, verfügt.

Auf die Frage, ob die Scharia, die ihre Quellen aus über 1400 Jahre alten Lehren zieht, auf die hiesige Gesellschaft anwendbar ist, lautet die Antwort, dass der Islam von Gott als eine universelle, immer geltende Religion herabgesandt wurde. Dementsprechend spricht der Heilige Qur`an die gesamte Menschheit an. Das Geheimnis dahinter ist jenes, dass die Lehren mit der sich nie verändernden Psyche des Menschen verknüpft sind. Themen wie Neid, Habgier, Hass, Unrecht und der Versklavung des Menschen durch seine Triebe sind nach wie vor genauso aktuell. Die dynamischen Lehren des Heiligen Qur`ans ermöglichen dem Menschen eine Erlösung aus den Klauen seiner Triebe. Man könnte meinen, dass die Scharia heute, im Zeitalter des egoistischen, kapitalistisch geprägten Individualismus notwendiger ist, denn je zuvor.

Die Frage, die sich nun für den Leser stellt, ist jene, ob der muslimische Bürger im Zweifelsfall eher dem Deutschen Staat mit seinem Grundgesetz gehorcht, oder eine Paralleljustiz entsteht, in der die muslimischen Bürger ihr Eigenleben entwickeln. Der Frage an sich mangelt jedoch schon jegliche Grundlage, denn Widersprüche zwischen der Scharia und dem deutschen Staat gibt es nicht. In der Sure Al-Nisa Vers 60 wird von Gott geboten „…und gehorcht denen, die Befehlsgewalt unter euch haben“ und somit unter allen Umständen seinem Staat gegenüber loyal bleiben soll und demnach dessen Gesetze ehren muss. Wenn eine Diskrepanz zwischen dem herrschenden Gesetz und den Geboten Allahs entstehen sollte, so soll der Gläubige auf diplomatischem Wege juristische Hilfe aufsuchen. Wenn jegliche diplomatischen Bemühungen fehlschlagen, so soll der Betroffene auswandern, jedoch nicht das Gesetz seines Landes brechen.

Hat man in all diesen Ausführungen das wiedererkennen können, was die Bilder auf Google aufzeigen? Aus dem Kontext gerissene Verse, stellen keinesfalls das wahre Antlitz der friedliebenden und reinen Religion dar, die der Islam in seiner wahren, unverfälschten Natur darstellt. Möge Gott uns dazu befähigen, die Wahrheit zu erkennen. Amin.

Quellen:

https://ahmadiyya.de/fileadmin/user_upload/bibliothek mohammad_dawood_majoka gesellschaftliche_bedeutung_scharia.pdf