Gegenwehr oder Genozid? 

„Diese Muslimas und deren Kopftücher“ „Muhammed hat auch nur Kriege geführt“, höre ich zwei ältere Herren in der Straßenbahn sprechen. Es ist ein reger Austausch zum Nahost Konflikt zwischen den beiden. „Ist ja in fast aller Munde“, denke ich mir.
Die Bahn ist so voll, dass ich sie nicht erreichen kann, bevor sie aussteigen, um sie über die Lehre Muhammeds (saw) aufzuklären. Ich bin verletzt und fühle mich fremd, fremd als deutsche Muslima, die hier geboren und aufgewachsen ist und auf dem Weg zur Universität war. Verzweifeln lässt mich die Tatsache, dass die Medien wieder einen Konflikt ausnutzen und die schon vorherrschenden Probleme zu verschärfen und um unsere Gesellschaft zu spalten.

30 Tage ist der extremistische Angriff der Hamas her. Vom 07. Oktober an sehe ich jeden Tag Bilder und Videos auf den sozialen Netzwerken der betroffenen Menschen und keines davon lässt mich unberührt und geht ohne ein Gebet für die Menschen davon. „Wahrlich, Allahs sind wir und zu Ihm kehren wir heim.“ (2:157)

Es ist erschütternd, wie sich der Konflikt in Nahost entwickelt. Die letzten Wochen prägen mich sehr. Mütter, deren Kinder sterben, Flüchtlingslager und Krankenhäuser, die bombardiert werden, Zivilisten, denen Hilfsgüter fehlen, die kaum zu essen und zu trinken haben, das hat doch mit Gerechtigkeit nichts mehr zu tun. Das Leid der betroffenen Menschen ist in keiner Form gerechtfertigt und der Extremismus der Hamas ist scharf zu verurteilen.
Die Frage, die sich mir jedoch stellt, ist, warum seit einem Monat über das Leid der Palästinenser von den Politikern weggeschaut wird und man bei jedem Kriegsverbrechen was unter dem Deckmantel „Gegenwehr“ oder „Völkerrecht“ legitimiert wird still zuschauen kann? Die Zivilisten weltweit ringen nach Gerechtigkeit und ein Ende des Krieges im Nahost, in dem sie demonstrieren, aber wo bleibt die Verantwortung der Politiker? „Bedingungslose Solidarität mit Israel“, höre ich seit einem Monat, doch wo bleibt die Fairness bei diesem ganzen Konflikt? Auf beiden Seiten geht es um unschuldige Menschen, also muss die Solidarität auch für beide Seiten gelten. Das Ende dieser Zurückhaltung der Politiker in Hinblick auf Israel, wird ein großer Flächenbrand sein, den wir uns nicht vorstellen können.

Wo bleibt die Stimme Deutschlands, um eine Waffenruhe einzufordern oder wie hoch soll die Anzahl der verstorbenen Kinder und unschuldigen Zivilisten noch steigen, das agiert wird?

Ich erinnere mich an einer Überlieferung in dem der Heilige Prophet Muhammad (saw) die Muslime dazu aufgefordert hat, dass wenn sie die Straße überqueren, den Müll den sie sehen wegräumen sollen, damit jemand der die Straße überquert keine Unannehmlichkeiten verspürt und den Weg, den er auf sich nimmt in Ruhe gehen kann.[1] Wenn doch der Heilige Prophet Muhammad (saw) der als Barmherzigkeit für alle Welten[2] gesandt wurde und das Vorbild für die gesamte muslimische Welt ist, wie kann man glauben, dass Er die Quelle einer Gräueltat der Hamas sein kann?

Das Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Gemeinde Hazrat Mirza Masroor Ahmad (aba), ruft schon seit vielen Jahren für den Weltfrieden auf. Bereits im Jahr 2015 äußerte er sich zum Nahost Konflikt wie folgt:

„Wenn wir die Situation im Nahen Osten beobachten, dann sehen wir wie die Feindschaft zwischen Israel und Palästiner stetig steigen, die sich bisweilen in sinnfreie Gewalt und Blutvergießen einlädt.“[3]

Der Koran fordert auch, dass Anhänger der verschiedenen Weltreligionen zusammenkommen und den Fokus auf die vielen Gemeinsamkeiten legen sollen.[4] Hass, Gewalt oder Krieg, nichts davon ist religiös legitimiert oder human. Der Koran spricht vom Tod der gesamten Menschheit aus für jemanden, der auch nur einen einzigen Menschen das Leben nimmt.

„Wenn jemanden einen Menschen tötet, es sei denn für (Mord) an einem anderen oder für Gewalttat im Land, so soll es sein, als hätte er die gesamte Menschheit getötet; und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, so soll es sein, als hätte er der gesamten Menschheit das Leben erhalten. (5:33)

Die meisten von uns wissen doch, dass es die fehlgeleiteten Taten der Menschen sind, die hinter solchen Verbrechen stehen und solche Angriffe mit keiner religiösen Lehre vereinbar sind. Warum lassen wir uns dann von den Medien beirren?

Rechtspopulisten haben wieder eine Plattform, um den antimuslimischen Rassismus zu befeuern. Man muss gemeinsam die Ursachen der Probleme definieren und nach Lösungen suchen, die zu einem friedlichen Miteinander aller Welt dienen. Hierfür müssen Ehrlichkeit und Gerechtigkeit auf alle Fälle gewährleistet sein.

Aktuell äußerte das Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Gemeinde sich bezüglich des Nahost Konflikts, in dem er darauf hinwies, dass unschuldige Zivilisten von diesem Konflikt bewahrt bleiben müssen, seien es Menschen aus Israel oder Palästina.

„Die Unschuldigen, die nicht am Krieg beteiligt sind, dürfen nicht beschuldigt werden. Wenn die Welt israelische Frauen, Kinder und Zivilisten als unschuldig ansieht, dann sind auch die Palästinenser unschuldig.“ [5]

„Alle zehn Minuten wird ein Kind getötet“, so die Frankfurter Rundschau im heutigen Beitrag. 40% der Verstorbenen sind Kinder,[6] um die ihre Mütter weinen. Wann hört dieses Unheil endlich auf, frage ich mich?

Das Israel sich auf das Völkerrecht beruft, dass sei mal dahingestellt, hierbei ist die Verhältnismäßigkeit jedoch nicht außer Acht zu lassen, denn das, was wir seit vier Wochen sehen, ist bloße Verachtung von Menschenrechten im Namen des Völkerrechts und einfach nur ungerecht, denn es kann nicht sein, dass die meisten Opfer Kinder und Frauen sind.[7]

In meiner näheren Umgebung nehme ich eine sehr starke Unruhe wahr. Viele die überlegen auszuwandern, die steigende Angst vor Fremdenfeindlichkeit und den zunehmenden antimuslimischen Rassismus. Menschen, die uns sehr gerne besuchen, gehen uns gänzlich aus dem Weg, einige wollen unserer Einladung nicht mehr folgen, wieder einmal Spaltung, statt Dialog und Zusammenhalt.

Die Lösung Antisemitismus zu bekämpfen, liegt nicht im Krieg, in dem man mit der Waffe des Hasses und des Grolles mehrheitlich Kinder abschießt. In keiner Form ist die Instrumentalisierung der Religionen zu legitimieren. Es führt nur zu Ängsten und zur Spaltung der Länder, Religionen und Gesellschaften und schließlich zu einer groß herrschenden Unruhe auf der ganzen Welt, so wie wir sie alle derzeit wahrnehmen können. Wir müssen uns als Gesellschaft sehen, die vielfältig ist, jedoch das ihre Schönheit ausmacht und eine Welt, die in solchen schwierigen Zeiten zusammensteht und für Aufklärung sorgt und gemeinsam die Ängste, die über die Religionen verbreitet werden, abbaut. Gemeinsam können wir nur den Hass auf der Welt beseitigen und für den Weltfrieden sorgen, indem wir gemeinsam zu Gott beten und nach friedensfördernden Lösungsansätzen suchen und an ihnen arbeiten. Wir wollen doch alle den Frieden, also lasst uns von dem Hass der Menschen und Unruhestiftern nicht unterbuttern, sondern uns in Gebeten und Zusammenhalt stärken. Ich bete, dass der Unfrieden und Krieg, egal wo auf der Welt, ein Ende nimmt und dass alle Menschen auf dieser Welt sich für den Weltfrieden stark machen. Amin.


[1] Bukhari.

[2]  Koran 21:108.

[3] Ansprache anlässlich der 12. Friedenskonferenz am 14.03.2015 in Baitul Futuh London.

[4] Koran 3:65

[5] Freitagsansprache vom 27.10.2023 in Islamabad.

[6] Hohe Verluste im Israel-Krieg – Bereits über 4000 Kinder gestorben (fr.de)

[7]  Liveblog: ++ Streit über Netanyahu-Zitat zu Hamas-Angriff ++ | tagesschau.de.

Veröffentlicht in: Islam