An einem Montagmorgen erfuhr ich von den tragischen Ereignissen. Müde ging ich wie jeden Morgen zur Schule und bemerkte, dass im Bus jeder über einen entsetzlichen Vorfall sprach, den ich bis dahin übersehen hatte. Erst als ich die Schule und meine Klasse erreichte, erklärte mir eine Mitschülerin die traurigen Details:
Am 19. Februar 2020 verübte Tobias R. einen rassistisch motivierten Anschlag in Hanau, bei dem er gezielt Menschen mit Migrationshintergrund erschoss. In jener Nacht war die Mutter meiner Mitschülerin als Rettungssanitäterin im Einsatz und teilte die erschütternden Ereignisse mit.
In diesem Moment fragte ich mich, wie es sein kann, dass jemand sich das Recht herausnimmt, über das Leben anderer zu entscheiden. Wie kann es sein, dass sich so etwas nur fünf Minuten von meiner Schule entfernt ereignete? Fühle ich mich in der Stadt Hanau, meinem Geburts- und Heimatort, noch sicher?
Es konnte schnell festgestellt werden, dass das grausame Attentat auf rassistische Motive zurückzuführen war. Der Täter hatte vor der Tat Videos online veröffentlicht, die seine rassistischen, antisemitischen und antimuslimischen Überzeugungen zeigten. Sowohl das Bundeskriminalamt als auch die Bundesanwaltschaft kamen zu dem Entschluss, dass Tobias R. einer rechtsextremen Ideologie angehörte und seine Opfer gezielt nach rassistischen Kriterien auswählte.
Dieser rücksichtslose Akt des Rassismus berührte mich tief. Trotz des rumänischen Migrationshintergrundes des Täters manifestierte sich sein rassistisches Verhalten gegenüber anderen Gruppen.
Der Islam lehrt uns, jeden Menschen als Bruder und Schwester zu behandeln und den Schmerz anderer genauso zu empfinden wie unseren eigenen. In einer Gesellschaft, die zunehmend egoistisch und rücksichtslos wird, sollten wir uns bewusst machen, dass wir dazu neigen, nur das negativ geprägte mediale Bild zu betrachten, anstatt unsere eigene Meinung zu bilden. In den Medien werden positive Aspekte häufig gezielt ausgeblendet, während gleichzeitig radikale Standpunkte bevorzugt werden. Diese Verzerrung führt zu der irreführenden Annahme, dass radikale Standpunkte die vorherrschende Meinung repräsentieren. Medien und Gesellschaft verleiten uns dazu, dass unsere Gesellschaft gespalten wird, während wir doch alle nur in Frieden und Harmonie miteinander leben wollen. Ich bin mir sicher, dass wir uns alle hier einig sind!
Der Heilige Prophet Muhammad – Friede sei mit Ihm hat gesagt: „Ein Weißer ist nicht besser als ein Schwarzer, noch ist ein Schwarzer besser als ein Weißer.“ Niemand, unabhängig von seiner Herkunft, seinem Reichtum oder anderen Merkmalen, ist besser als ein anderer Mensch.
Der Täter hat bewusst neun Menschen getötet – neun Individuen, die integraler Bestandteil unserer Gesellschaft waren.
Im Heiligen Quran steht: „Wenn jemand einen Menschen tötet, es sei denn für (Mord) an einem anderen oder für Gewalttat im Land, so soll es sein, als hätte er die gesamte Menschheit getötet; und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, so soll es sein, als hätte er der gesamten Menschheit das Leben erhalten.“ (5:33)
In einer Welt, die oft von Unverständnis und Spaltung geprägt ist, müssen wir uns daran erinnern, dass unser Streben nach Frieden und Harmonie nicht nur eine Wunschvorstellung ist, sondern eine notwendige Verpflichtung. Wir müssen gemeinsam die Brücken der Akzeptanz und des Respekts bauen, die über die Gräben von Vorurteilen und Hass führen. Möge jeder von uns dazu beitragen, die Flamme der Menschlichkeit am Leben zu erhalten, und möge unser Handeln stets von Mitgefühl und Verständnis geleitet sein. Denn in dieser kollektiven Anstrengung liegt die Hoffnung auf eine Zukunft, in der jeder Mensch in Frieden und Harmonie miteinander existieren kann.